Originalartikel von Karl-Hermann Fuchs und Arnulf Thiede, Chirurgische Klinik, Uni Würzburg 1999
Der Begriff Barrett-Ösophagus hat in den vergangenen Jahren eine besondere Aktualität gewonnen. Dies liegt einerseits daran, dass diese Epithelveränderung in der unteren Speiseröhre ein Entartungsrisiko birgt. Andererseits können anhand dieser Erkrankung Prozesse der Krebsentstehung, in diesem Fall die Sequenz von einer Entzündung bis hin zum Karzinom, verfolgt werden, weil die untere Speiseröhre mittels Endoskop relativ leicht zugänglich ist.
Diese Bedeutung wird potenziert durch die Tatsache, dass der Entzündung die häufigste gutartige Funktionsstörung im oberen Magen-Darm-Trakt zugrunde liegt, nämlich die sogenannte gastroösophageale Refluxkrankheit, bei der es zu einem Rückfluss von Magensaft in die Speiseröhre kommt. Diese Erkrankung tritt in den westlichen Industrieländern zunehmend häufig auf, und zwar bei mindestens 360 von 100.000 Einwohnern. Von den Symptomen sind jedoch praktisch fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung betroffen.
Für die Betreuung, Diagnosestellung und Behandlung von Patienten mit gastroösophagealer Refluxkrankheit werden jedes Jahr beträchtliche Summen ausgegeben. Man schätzt, dass etwa zehn Prozent der Refluxkranken einen Barrett entwickeln und dass von diesen wiederum etwa zehn Prozent in die „Metaplasie-Dysplasie-Karzinom-Sequenz“ einzureihen sind und somit letzten Endes an Speiseröhrenkrebs erkranken.
Mit dieser Problematik beschäftigen sich Wissenschaftler der Universität Würzburg seit einigen Jahren. Sie sind in vielfacher Weise in Untersuchungen und Studien involviert: Im Pathologischen Institut ist es Dr. Justus Müller, in der Medizinischen Poliklinik Prof. Dr. Michael Scheurlen und Dr. Hubert Mörk, für die Medizinische Klinik sind es Prof. Dr. Wolfgang Scheppach und für die Chirurgische Klinik Prof. Dr. Karl-Hermann Fuchs, PD Dr. Stephan M. Freys, Dr. Johannes Heimbucher, Dr. Martin Fein, Dr. Harald Tigges und Dr. Jörn Maroske. In den vergangenen Jahren wurden verschiedene Studien zur Entstehung, Diagnostik, Klassifizierung und Therapie des gut- und bösartigen Barrett-Ösophagus durchgeführt.
In dieser Übersicht soll erstens auf die gegenwärtig unterschiedlichen und zum Teil kontrovers geführten Definitionen des Barrett-Ösophagus hingewiesen werden. Zweitens sollen einige Überlegungen zur Sequenz „Metaplasie-Dysplasie-Karzinom“ dargestellt und die Diskussionspunkte der chirurgischen Therapie angesprochen werden. Unter Metaplasie versteht die Wissenschaft die Umwandlung eines Gewebes in ein anderes, hinter dem Begriff Dysplasie verbirgt sich die „Fehlentwicklung eines Gewebes mit unzureichender Differenzierung“.
Definition des Barrett-Ösophagus
Inhalt
Die Veränderungen der Schleimhaut in der unteren Speiseröhre, die dem heutigen Begriff Barrett- oder Endobrachy-Ösophagus entspricht, wurde erstmals fast zeitgleich 1950 von Norman Rupert Barrett beschrieben und von Lortat Jacob bearbeitet. Obwohl Barrett die durch das Auftreten eines Zylinderepithels geprägten Veränderungen zunächst falsch interpretierte und das Konzept der Zylinderepithel-Auskleidung der unteren Speiseröhre, wie es Allison bereits 1953 beschrieben hatte, erst 1957 übernahm, trägt diese Erkrankung bis heute den Namen von Barrett.
Für die Chirurgen hat Skinner im Jahr 1983 eine klassische Definition des Barrett-Ösophagus geprägt. Danach liegt ein Barrett-Ösophagus vor, wenn in der Speiseröhre das Plattenepithel im unteren Bereich auf einer Strecke von drei oder mehr Zentimetern durch Zylinderepithel ersetzt ist. Gastroenterologen haben diese Angabe später auf zwei Zentimeter korrigiert. Solche Definitionen sind notwendig, weil die präzise Bestimmung des Übergangs von der Magen- zur Speiseröhrenschleimhaut bei vielen Patienten durch zungenförmige Ausläufer des Zylinderepithels erschwert sein kann und somit eine endoskopisch genaue Abgrenzung des Barrett-Epithels manchmal schwierig ist. Skinner wollte mit dieser Definition sichergehen, eine möglichst spezifische Definition des Barrett zu etablieren und mögliche Grenzformen auszuschließen.
Im Laufe der vergangenen zehn Jahre wurde jedoch klar, dass auch bei Patienten mit einer kürzeren Zylinderepithel-Auskleidung in der unteren Speiseröhre viele Vorgänge vergesellschaftet sein können, wie ein krankhafter Rückfluss von Säure, ein – fraglicher – Rückfluss vom Zwölffingerdarm in die Speiseröhre und auch die Entwicklung von Adenokarzinomen. Dies führte zur Prägung des Begriffes „short segment Barrett esophagus“, der erstmals 1992 von Schnell geprägt und sogleich von anderen Autoren aufgegriffen wurde. Der „short segment Barrett esophagus“ liegt vor, wenn in der unteren Speiseröhre das Plattenepithel im unteren Abschnitt durch spezialisiertes Zylinderepithel mit intestinaler Metaplasie ersetzt ist, auch wenn dieses Segment kürzer als zwei oder drei Zentimeter ist.
Gegenwärtig tauchen Begriffe wie „ultra short Barrett“ oder „micro Barrett“ auf, deren Bedeutung für die Probleme, die sonst mit dem klassischen Barrett-Ösophagus assoziiert werden, noch nicht eindeutig geklärt ist. Es handelt sich bei dieser Form um eine willkürliche Definition eines Schleimhautbefundes, der noch weiterer Abklärung bedarf. Einige Autoren sprechen vom „ultra short Barrett“, wenn histologisch eine intestinale Metaplasie am endoskopisch unauffälligen Mageneingang nachzuweisen ist. Deren Häufigkeit beschreibt Spechler mit acht Prozent, in einer Autopsie-Studie bei Patienten mit hochsitzendem Plattenepithel-Karzinom hat Cameron sogar in zwei Drittel der Fälle eine intestinale Metaplasie festgestellt.
Gegenwärtig sollte man mit dem Begriff „Barrett-Ösophagus“ im Zusammenhang mit intestinaler Metaplasie bei endoskopisch unauffälligem gastroösophagealen Übergang sehr vorsichtig sein und diese beiden Begriffe noch nicht im routinemäßigen Gebrauch verwenden. Es bestehen noch zu viele Unklarheiten über die Häufigkeit dieses Befundes, das potentielle Entartungsrisiko, die Pathogenese und die therapeutische Konsequenz.
In der angloamerikanischen Literatur findet sich häufig nicht der Begriff Barrett-Karzinom, sondern der Begriff Adenokarzinom der Speiseröhre und/oder des Mageneingangs (Cardia). Diese Begriffe überlagern sich jedoch in Abhängigkeit von der gewählten Definition des sogenannten Cardia-Karzinoms. Hierzu hat Siewert bereits 1987 eine Klassifikation des Cardia-Karzinoms angegeben, die inzwischen auch international anerkannt wurde.
Tabelle 1 zeigt die Häufigkeit des spezialisierten Zylinderepithels mit intestinaler Metaplasie in Korrelation zu den einzelnen Typen des Cardia-Karzinoms nach der Klassifikation von Siewert.
Typeneinteilung nach Siewert | Typ I | Typ II | Typ III |
Siewert et al. 1996 (n=513) | 80,1% | 9,9% | 0,7% |
Cameron et al. 1995 (n=43) | 100% | 42% | – |
Clark/DeMeester 1994 (n=200) | 79% | 42% | 5% |
Tabelle 1: Beziehung zwischen Barrett- und Cardia-Karzinom. Weitere Erläuterungen im Text.
Hierbei ist zu beachten, dass die von Siewert angegebenen 9,9 Prozent Barrett-Häufigkeit beim Typ 2-Cardia-Karzinom auf der klassischen Barrett-Definition basieren, während die mit einer Häufigkeit von 40 Prozent aufwartenden amerikanischen Arbeiten auch „short segment“ Barrett-Patienten enthalten. Hieraus lässt sich ableiten, dass beim Cardia-Karzinom Typ 1, das heisst beim Adenokarzinom der unteren Speiseröhre, in mindestens 80 Prozent spezialisiertes Zylinderepithel mit intestinaler Metaplasie gefunden wird und damit die Kriterien des Barrett-Karzinoms erfüllt sind.
Beim Typ 2, dem eigentlichen Cardia-Karzinom, hängt die Häufigkeit des Barrett-Karzinoms selbstverständlich naturgemäß von der gewählten Definition des Barrett-Ösophagus ab und liegt in Abhängigkeit davon zwischen 10 und über 40 Prozent. Beim Typ-3-Cardia-Karzinom oder hochgewachsenen Fundus-Karzinom ist die intestinale Metaplasie im spezialisierten Epithel eher ein seltener Befund.
Die Sequenz Metaplasie-Dysplasie-Karzinom
Der Barrett-Ösophagus ist eine nicht zwingende, aber durchaus mögliche Folge der gastroösophagealen Refluxkrankheit mit Entwicklung von intestinaler Metaplasie im spezialisierten Zylinderepithel. Aus diesem kann mit einem erhöhten Entartungsrisiko ein Karzinom entstehen. Hierbei ist die Metaplasie-Dysplasie-Karzinom-Sequenz inzwischen mehrfach nachgewiesen.
Für diese Entwicklung zum Karzinom gibt es mehrere Ursachen. Voraussetzung ist zunächst die Zerstörung des normalen Plattenepithels, vermutlich durch den Rückfluss von Säure und Saft aus dem Zwölffingerdarm mit Entwicklung einer Metaplasie. Endogene, exogene, co-karzinogene und gentoxische Faktoren sowie Mutation mit klonaler Expansion führen von der Metaplasie zur low grade- und dann zur high grade-Dysplasie. Die bösartige Entwicklung zum Adenokarzinom stellt den letzten Schritt in dieser Sequenz dar.
Leider ist es bisher noch nicht gelungen, molekularbiologische Faktoren (Marker) zu identifizieren, welche die frühen genetischen Veränderungen kennzeichnen, um rechtzeitig vor der Vollendung der Metaplasie-Dysplasie-Karzinom-Sequenz eingreifen zu können. Gegenwärtig haben Marker wie P-53 nur prognostische Bedeutung, da sie Veränderungen in den späten Phasen dieser Sequenz charakterisieren – zu diesem Zeitpunkt kommt eine vorbeugende Therapiemaßnahme zu spät. Dies wird auch deutlich anhand der Häufigkeit von Karzinomen bei Patienten mit endoskopisch nachgewiesener high grade-Dysplasie im Barrett-Ösophagus. Nach der gegenwärtigen Literatursituation muss man davon ausgehen, dass bei 40 Prozent der Patienten mit nachgewiesener high grade-Dysplasie bereits ein Karzinom vorliegt und deswegen eine operative Entfernung durchaus empfohlen werden kann. Dies findet aber nicht bei allen Autoren Zustimmung.
Chirurgische Therapie des Barrett-Ösophagus
Zur chirurgischen Therapie sollen in dieser Zusammenfassung einige Diskussionspunkte herausgegriffen werden. Das Ausmaß des Eingriffs zusammen mit der Ausdehnung der Lymphadenektomie und damit dem erforderlichen Zugang sowie die Wahl der Rekonstruktion werden gegenwärtig kontrovers diskutiert. Die Rahmenbedingungen für eine radikale Entfernung des Barrett-Karzinoms ergeben sich aus den Daten zur Lymphknotenmetastasierung und den Lymphknotenrezidiven.
Beim Studium dieser Daten wird deutlich, dass ein Großteil der befallenen Lymphknoten im Oberbauch sowie im mittleren und unteren Raum zwischen den Lungen (Mediastinum) auftreten und zudem bis zur Milz sowie entlang der Leberarterie (Arteria hepatica) wie auch in der Halsregion zu finden sind. Nach Clark waren im Halsbereich Rezidive bis zu 7,3 Prozent festzustellen, die abdominellen Lymphknotenrezidive waren hauptsächlich hinter der Bauchspeicheldrüse gelegen. Um auch in diesen beiden Gebieten Radikalität zu erreichen, müsste man theoretisch gesehen alle Lymphknoten im Hals und hinter der Bauchspeicheldrüse entfernen. Hierbei müssen jedoch, wie immer, die nach einem solchen Eingriff zu erwartenden Krankheiten (Morbidität) mit ins Kalkül gezogen werden, so dass gegenwärtig eine erweiterte Standard-Lymphadenektomie unter Mitnahme aller Lymphknotenstationen oberhalb des Truncus coeliacus sowie im mittleren und unteren Mediastinum vorgenommen wird. Die Kompromisse beginnen im oberen Mediastinum und letztlich im Halsbereich. Dort wird auf eine vollständige Entfernung der Lymphknoten verzichtet, um eine vernünftige Balance zwischen Radikalität und Morbidität zu erreichen. Der Zugang kann einerseits transmediastinal bzw. transhiatal oder transthorakal erfolgen. Beim transthorakalen Vorgehen ist auch eine Entfernung der Lymphknoten im oberen Mediastinum möglich.
Schlussbetrachtung und Ausblick
Gegenwärtig nimmt die Häufigkeit des Barrett-Karzinoms, verglichen mit den anderen bösartigen Tumoren, am stärksten zu. Magen- und Plattenepithelkarzinom der Speiseröhre sind dagegen eher im Rückgang begriffen. Die Ursachen für diese Entwicklung sind letztlich noch nicht vollständig geklärt. Das spezialisierte Zylinderepithel mit intestinaler Metaplasie entsteht nach einem Schleimhautschaden, der durch einen krankhaften gastroösophagealen Reflux verursacht wurde. Die nachfolgende Metaplasie-Dysplasie-Karzinom-Sequenz gilt gegenwärtig als gesichert. Sie wird von mehreren Faktoren beeinflusst und ist gegenwärtig Gegenstand umfangreicher Untersuchungen. Wünschenswert wäre die Entdeckung molekularbiologischer Marker, welche die Wahrscheinlichkeit für eine bösartige Entwicklung früh anzeigen und damit eine rechtzeitige Therapie ermöglichen. Das Therapiekonzept für das Barrett-Karzinom muss ein multimodales sein, wobei die chirurgische Therapie durch eine radikale R-0-Resektion Tumorfreiheit gewährleisten sollte.